Anneliese Kuhk
Retrospektive 1913-2011
&
Uwe Sernow-Rose
Neue Arbeiten
Metallgestaltung
Kunsthalle Brennabor Brandenburg an der Havel 5.3.2011 - 8.4.2011
Laudatio 4. März 2011 in der Kunsthalle Brennabor Brandenburg
Frauke Mankartz:
Sehr verehrten Damen und Herren,
ich freue mich sehr, zu Gast in der Kunsthalle Brennabor zu sein und Ihnen als Laudatorin gleich zwei Künstler mit ihren beeindruckenden Werken zu präsentieren: Es handelt sich zum einen um eine Retrospektive mit Gemälden und Graphiken von Anneliese Kuhk, die über eine lange Schaffensphase von sechzig Jahren entstanden sind sowie um Uwe Sernow-Rose, dessen Metallskulpturen in der jüngsten Vergangenheit geschaffen wurden. Vielleicht haben sie sich spontan gefragt - ich habe das jedenfalls getan - was das Verbindende zwischen beiden Werken ist, wie das zusammen geht. Trotz der unterschiedlichen Entstehungszeiten, Materialien und Techniken geht es auf der ästhetischen Ebene erstaunlich gut zusammen, wenn Sie die stählernen Vogel- und Mischwesen des Bildhauers im Dialog mit den zweidimensionalen Augenmenschen und anderen Phantasiegestalten von Anneliese Kuhk sehen. Aber es gibt noch tiefer gehende Verbindungen zwischen den beiden: Uwe Sernow-Rose lernte Kuki – wie ihre Freunde sie liebevoll nannten, denn den Namen Anneliese mochte sie nicht und er schien auch nicht wirklich zu ihr zu passen – im Alter von neunzehn Jahren im privaten Umfeld kennen. Er besuchte von da an ihre Salonabende in ihrer Atelierwohnung am Lietzensee, wo eine kleine Bohème-Szene zwanglos über Philosophie, Literatur und das Leben an sich debattierte. Damit erschloss sich für den gelernten Heizungs- und Kesselbauer eine neue faszinierende Welt. Beeindruckend war für Uwe Sernow-Rose insbesondere der Kontakt zur bildenden Kunst – zunächst theoretisch über Bildbände die er bei der Künstlerin durchsah, dann ganz handfest, indem er handwerkliche Unterstützung bei den Umsetzungen ihrer Kunst-am-Bau-Projekten leistete. Es sollten dann noch einige Jahre vergehen, bis er den Schritt zu eigenen künstlerischen Arbeiten wagte, was ihn bis heute nicht mehr los gelassen hat. Nach dem Tod Anneliese Kuhks im Jahr 2001 hat Uwe Sernow-Rose gemeinsam mit seiner Frau Claudia-Karina Rose dafür gesorgt, dass der umfangreiche Nachlass der Künstlerin nicht in alle Winde verstreute wurde, indem sie kurz entschlossen das gesamte Konvolut erworben haben. Es ist ein wahrer Schatz, der sich nur wenige Kilometer von hier in Gortz am Beetzsee befindet und den es ab heute in den Räumlichkeiten der Kunsthalle zu entdecken gilt. Die posthume Hommage an Anneliese Kuhk wird chronologisch in Werkgruppen präsentiert, an denen sich ihre Themen und Stilphasen gut verfolgen lassen. Vorangestellt im Eingangsbereich rechts ist ein Exkurs zu ihren bereits erwähnten Kunst-am-Bau-Projekten, die sie zwischen 1954 und 1973 geplant und realisiert hat. Dies reichte vom Flughafen Tempelhof über Krankenhäuser und Schulen bis hin zu Schwimmbädern – der Schwerpunkt lag bei Berliner Projekten. Grundlage für alle künstlerischen Arbeiten, ob expressiv oder phantastischrealistisch, war immer das Naturbild. Die 1913 auf der Insel Wollin nahe der Ostsee Geborene sagte dazu: „die Natur, in der ich aufgewachsen bin, hat mich entscheidend geprägt.“ Ihre künstlerisch produktivste Zeit hatte Anneliese Kuhk ab den achtziger Jahren, in denen sie losgelöst vom Druck der Bauvorgaben freie Arbeiten schaffen konnte. Ausgangspunkt ihrer teilweise sehr großformatigen Ölbilder war stets eine Collage aus Zeitungsausschnitten bzw. „Schnipseln“, die sie malerisch überarbeitete und dann – wie bei ihren architekturbezogenen Entwürfen – ins große Format übertrug, wenn auch mit kleinen Variationen. Ich stehe beispielsweise vor dem Bild „Freude strahlend, aber strahlend“ aus dem Jahr 1989. Die Katastrophe von Tschernobyl war der zeitgeschichtliche Hintergrund, weshalb das Strahlen doppeldeutig zu verstehen ist. Die vorbereitende Collage können Sie an der Stellwand vor den nördlichen Fenstern betrachten. Dem Gemälde sieht man den Weg von der Collage zur großen Ausführung nicht mehr ohne weiteres an, aber die oft scharfkantigen Konturen sind ein „Überbleibsel“ dieser Methode. Sich von den Formen gefundener Dinge inspirieren zu lassen, gehört auch zum künstlerischen Prinzip des Bildhauers Uwe Sernow-Rose zu. Neben freien Materialarbeiten geht er oft von technischen Geräten aus, die ihre Funktion verloren haben und Spuren des Verfalls tragen. Erst auf den zweiten Blick durchschaut man die Konstruktion. Hier zu Ihrer linken Seite sehen Sie beispielsweise den „Pflug-Vogel“, dessen Titel nicht einer erneuten Rechtschreibreform geschuldet ist, sondern damit spielt, dass der Körper aus einem umgedrehten Landwirtschaftsutensil besteht. Diese Fundstücke bearbeitet und ergänzt Uwe Sernow-Rose in seiner Werkstatt, aber ohne diese Bearbeitungsspuren wie beispielsweise Schweißnähte u.ä. zu tilgen, sondern sie mit in die Komposition einzubeziehen. Seine Stehlen sind schnörkellos, ohne Schnickschnack, aber mit tiefgründigem Witz. Man kann sich gut vorstellen, was ihn und Anneliese Kuhk über Jahrzehnte freundschaftlich verband. Anneliese Kuhk hat in renommierten Berliner Galerien wie Springer oder Bremer sowie in England und Kanada ausgestellt. Wohlwollende Rezensionen von Will Grohmann oder Heinz Ohff wurden über ihre Werke veröffentlicht. Zu ihren Freunden und Weggefährten gehörten Hannah Höch und Unica Zürn. Dies alles sind klingende Namen und so fragt man sich, warum weder die Insider noch ein breites Publikum das Werk von Anneliese Kuhk heute kennen. Ihr Mann und über Jahrzehnte wichtigste Person in ihrem Leben, der Publizist Michael Stone äußerte pointiert: „Klappern gehört nicht zu ihrem Handwerk.“ Die Künstlerin selbst machte folgenden Erklärungsversuch: „Es ist für eine Frau, die nicht mehr so jung ist und nicht von irgendwelchen Instanzen gefördert wird, schwer, sich künstlerisch durchzusetzen. Besonders dann, wenn sie nicht ohne weiteres in eine bestimmte Richtung eingeordnet werden kann.“ Eine Einordnung in die Schubladen der Kunstgeschichte funktioniert bei Anneliese Kuhk nur schwer. Ihre Werke atmen den jeweiligen Zeitgeist und haben doch einen ganz eigenen Stil. Ihre Charakterisierung als „sanfte Surrealistin“, die den Untertitel der Ausstellung ziert und von Werner Langer aus einer Tagesspiegel-Rezension von 1983 stammte, meinte weniger die kunsthistorische Epoche der 20er/30er Jahre, als vielmehr ihre grundsätzliche Herangehensweise. „Sur-real“, also über die Realität hinausgehend war ihr gesamtes Werk. Ihr Maxime notierte AK auf einen kleinen Papierzettel, der sich in ihrem Nachlass fand: „Aus Picasso-Buch gelernt: die Natur nicht imitieren, sondern ersetzen; nicht im Objekt liegt die Realität, sondern im Bild.“ Ein Kunstwerk ist kein Abklatsch der Wirklichkeit, keine mechanische Wiedergabe der sichtbaren Welt. Es geht in der künstlerischen Arbeit nicht um eine Reproduktion der Wirklichkeit, sondern der künstlerische Prozess bringt eine eigenständige Schöpfung, eine eigene Bilderwelt hervor, in die wir uns einsehen müssen. Als Belohnung können wir spannungsreiche Entdeckungen zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion machen. Es geht aber nicht nur um das Sehen bzw. Erkennen. Ich möchte Michael Stone erneut zitieren, der sehr einfühlsame Texte über die Kunst seiner Frau geschrieben hat: Man werde bei ihren Kunstwerken „jedes Mal mit einem Stück individueller Wahrheit konfrontiert, mit der man sich auseinanderzusetzen hat. Es gibt nicht so viele Menschen, die das können oder wollen. Bei den meisten steht die Frage an erster Stelle ‚Was soll das bedeuten?’ oder ‚was haben sie sich dabei gedacht?’, nicht aber ‚Was empfinde ich dabei?“ Ich wünsche Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, viele Empfindungen und Seherlebnisse in der spannenden Ausstellung und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!